Wahlvorschlag für Jacobus Hendricus van’t Hoff zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften, mitunterzeichnet von Max Planck

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Berlin, 7. November 1895

Die Unterzeichneten beantragen, daß der bisherige Professor der Chemie an der Universität Amsterdam, Dr. J. H. van’t Hoff als ordentliches Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse hierher berufen, und daß demselben ein persönliches Gehalt von 10 000 Mark für den Fall seiner Übersiedelung bewilligt werde.
Der im vergangenen Winter unternommene Versuch, Herrn van’t Hoff für die hiesige Universität zu gewinnen, ist nur deshalb mißlungen, weil derselbe fürchtete, als Direktor eines großen Instituts keine ausreichende Muße für seine wissenschaftlichen Arbeiten erübrigen zu können. Dagegen hat er sich damals gerne bereit erklärt, eventuell ein materiell bescheideneres, aber weniger anstrengendes Amt hier zu übernehmen.
Dadurch ist der Gedanke angeregt worden, für Herrn van’t Hoff eine neue Lehrstelle an der Universität zu schaffen, ihm aber nur solche Verpflichtungen aufzuerlegen, daß seiner wissenschaftlichen Thätigkeit dadurch kein Eintrag geschieht. Da aber das für die Berufung erforderliche Gehalt von 15 000 Mark aus den Mitteln der Universität nicht gedeckt werden kann, da ferner zur Zeit die Bewilligung der Summe durch den Finanzminister nicht zu erwarten ist, so würde der Plan nur mit Unterstützung der Akademie auszuführen sein.
Infolge des Todes der Herren von Helmholtz und Kundt, welche beide persönliche Gehälter bezogen haben, steht der physikalisch-mathematischen Klasse augenblicklich eine größere Summe zur Verfügung, deren abermalige Verwendung zu gunsten der Wissenschaft, welcher die Verstorbenen angehörten, nicht unberechtigt erscheint. Von diesem Gesichtspunkte aus glauben die Unterzeichneten die oben erwähnte, außergewöhnlich hohe Gehaltsbewilligung vorschlagen zu dürfen, weil sie von der Überzeugung durchdrungen sind, daß Herr van’t Hoff unter den lebenden theoretischen Physikern und Chemikern einen der ersten Plätze einnimmt und nicht allein der Akademie zur Zierde gereichen, sondern auch durch seine Thätigkeit als Lehrer und Forscher in Berlin außerordentlich anregend wirken würde.
Herr van’t Hoff wurde 1852 als Sohn eines Arztes zu Rotterdam geboren. Er studierte zuerst in seinem Heimatlande, später in Bonn und Paris Chemie, war dann einige Jahre als Lehrer der Physik und Chemie an einer niederländischen Mittelschule thätig und wurde im Jahre 1879 an die damals neu gegründete städtische Universität zu Amsterdam berufen, wo er seitdem das Fach der anorganischen Chemie vertritt. Seine erste wissenschaftliche Leistung fällt in das Jahr 1874. In der Schrift „La chimie dans l’espace“ verknüpfte er den von Pasteur entwickelten Begriff der molekularen Asymmetrie in glücklichster Weise mit den Principien der Strukturchemie und schuf so die Theorie des asymmetrischen Kohlenstoffatoms. Sehr bezeichnend für seine geistige Eigenart waren dabei die Gründlichkeit und Vorsicht, mit welchen er aus dem Grundgedanken weittragende Schlüsse zog. Sein feines Unterscheidungsvermögen für die Hypothesen, welche der Wirklichkeit sich anpassen, und solchen, die durch spätere Erfahrungen nicht bestätigt werden, hat ihn auf diesem weiten Gebiete immer das Richtige treffen lassen. Er kann deshalb als der wahre Begründer und glücklichste Vorkämpfer der räumlichen Anschauungen bezeichnet werden, welche seit mehr als einem Jahrzehnt im Mittelpunkt der organisch-chemischen Forschung stehen. Seit etwa fünfzehn Jahren hat sich van’t Hoff auch den wichtigsten Problemen der physikalischen Chemie zugewandt und hier ganz ebenbürtige Erfolge erzielt. Durch die Studien über chemische Dynamik und namentlich durch die Übertragung der Gasgesetze auf die verdünnten Lösungen ist er der Schöpfer eines neuen, fruchtbaren Zweiges der Molekularphysik geworden, denn die ganze Reihe der heutigen Vorstellung über die Beschaffenheit gelöster Stoffe und der Kräfte, welche zwischen ihnen und dem Lösungsmittel wirken, beruht auf Ideen, welche von van’t Hoff ausgegangen sind.
Obschon die hervorragendsten Leistungen van’t Hoffs auf spekulativem Gebiete liegen, so hat er doch auch eine Reihe schätzbarer Experimentalarbeiten über den Zusammenhang von Struktur und optischer Aktivität, über Doppelsalze und deren Existenzgrenzen, über Racematbildungen u. s. w. ausgeführt.
Als Lehrer ist er ebenfalls mit großem Erfolge thätig gewesen; sein Vortrag wird als klar und anregend geschildert, und sein Laboratorium zu Amsterdam war viele Jahre hindurch von zahlreichen Schülern, besonders auch von Ausländern besucht. Wenn er trotzdem jetzt den Wunsch hegt, die Lehrthätigkeit einzuschränken, so geschieht das nach seinem eigenen Geständnis nur, um sich ungestörter der wissenschaftlichen Forschung widmen zu können. Wollte die Akademie ihm dazu Gelegenheit bieten, so könnte sie nach Ansicht der Unterzeichneten der Wissenschaft einen großen Dienst erweisen und zugleich dem hiesigen Gelehrtenkreise eine hervorragende Persönlichkeit zuführen, welche auch durch ihr schlichtes offenes Wesen und ihr unbefangenes Urteil bald die Sympathieen der Collegen erwerben würde.

Fischer   Warburg
v. Bezold   Planck
Quelle
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-III-31, Bl. 112-114
behändigte Reinschrift, egh. von E. Fischer, mitunterzeichnet von E. Warburg, W. von Bezold und M. Planck