Schreiben M. Plancks vom 29. Februar 1908 an den Kanzler des Ordens pour le mérite und Akademiesekretar, A. Auwers, über die von der Akademie präsentierten Vorschläge für einen neuen ausländischen Ordensritter mit einer Einschätzung der wissenschaftlichen Stellung der Kandidaten

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Grunewald, 29. II. 08

Hochverehrter Hr. Kollege!

Ihr geehrtes Schreiben vom Gestrigen beantworte ich auf Ihren Wunsch umgehend, indem ich Ihnen auf dem angebogenen Blatte eine kurze Charakteristik der wissenschaftlichen Stellung der drei von unserer Akademie für den Orden p.(our) l.(e) m.(érite) präsentirten Physiker entwerfe.
Was die amtliche Stellung der Herren anbelangt, so sind Ihre in Ihrem Schreiben gemachten Angaben darüber zutreffend, nur ist H. Becquerel nicht an der Sorbonne, sondern an der École polytechnique angestellt.
Vielleicht darf ich hier noch hinzufügen, daß Lorentz u. Becquerel den Nobel-Preis erhalten haben.

Hochachtungsvoll Ihr ergebenster
M. Planck

  1. H. A. Lorentz steht unter den Vertretern der theoretisch-physikalischen Forschung mit an vorderster Stelle. Obwohl er, ausgezeichnet nicht minder durch die Vielseitigkeit seiner Interessen, wie durch die Gründlichkeit seiner Kenntnisse, in allen Gebieten der Physik bahnbrechend gewirkt hat, darf doch die Elektrodynamik als dasjenige Arbeitsfeld bezeichnet werden, auf welchem er die zahlreichsten und bedeutendsten Erfolge erzielte. Unter diesen ist vor Allem zu nennen der von Grund aus neu aufgeführte, über die Arbeiten von Heinrich Hertz noch wesentlich hinausragende Aufbau der gesammten elektrodynamischen Theorie, der u. A. auch die Entdeckung des Zeeman-Effekts veranlaßt hat.
  2. J. D. van der Waals ist berühmt geworden durch seine theoretischen Arbeiten über die thermische Ausdehnung und die Compressibilität von Gasen und Flüssigkeiten. Vor 30 Jahren leitete er in seiner Inaugural-Dissertation aus theoretischen Betrachtungen seine allgemeine „Zustandsgleichung“ ab, während auf experimentellem Gebiet bis dahin nur spärliches Material für die Bearbeitung dieser Frage gesammelt worden war, und seit jener Zeit ist diese Gleichung, wennschon sie nur eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellt, durch keine der zahlreichen an der Hand genauer Messungen neu aufgestellten Zustandsgleichungen an Leistungsfähigkeit übertroffen worden. Die zahlreichen Arbeiten von van der Waals sind fast sämmtlich auf das bezeichnete Gebiet beschränkt geblieben.
  3. H. Becquerel ist vorwiegend Experimentalphysiker. Seine Hauptleistung ist die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen, auf welche er geführt wurde, als er, angeregt durch die große Roentgensche Entdeckung, nach ähnlichen Erscheinungen unter verwandten Bedingungen suchte. Wenn es ihm dabei auch nicht in gleicher Weise wie kurz vorher Roentgen gelang, die Bedingungen der Erzeugung u. die Eigentümlichkeiten der Wirkung der neuen Strahlen richtig festzustellen, so geben seine Arbeiten doch den Anstoß zu weiteren Untersuchungen von anderen Physikern, welche hierdurch zur Erschließung des großen Gebietes der Radioaktivität führten.
Quelle
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-X-17, Bl. 20-21
behändigte Reinschrift, egh., mit egh. Geburtsjahres- und Textzusätzen von A. Auwers
Der Textzusatz lautet: Für den Orden wurde Lorentz schon einmal, bei der Ersatzwahl für Sir G. Stokes 1903 an dritter Stelle, präsentirt.