Wahlvorschlag von Max Planck für Erwin Schrödinger zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften

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Berlin, vor dem 16. November 1928

Die Unterzeichneten beehren sich, den ordentlichen Professor der Theoretischen Physik an der Universität Berlin, Dr. Erwin Schroedinger, zur Erwählung als ordentliches Mitglied in eine der freien Stellen der Statuten von 1881 vorzuschlagen.
Schroedinger nimmt unter den theoretischen Physikers der jüngeren Generation eine ausgezeichnete Stellung ein vermöge der führenden Rolle, welche er seit seinen bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiete der Wellenmechanik übernommen hat. Geboren im Jahre 1887 in Wien empfing er an der dortigen Universität seine wissenschaftliche Ausbildung in experimenteller und theoretischer Physik, habilitierte sich im Jahre 1914 und ging 1920 als Extraordinarius für theoretische Physik an die Technische Hochschule Stuttgart, von dort 1921 als Ordinarius an die Universität Breslau und 1922 an die Universität Zürich, von wo er im vorigen Jahre nach Berlin berufen wurde.
Schon von Anbeginn seiner Tätigkeit an machte sich Schroedinger vorteilhaft bekannt durch die Schärfe und Unabhängigkeit seines Urteils und durch die Vielseitigkeit seiner Interessen. Auf verschiedenen Gebieten der Physik nacheinander griff er, anscheinend ohne bestimmt vorgefaßten Plan, ein ihn gerade interessierendes Problem auf, entweder von der experimentellen oder, wie später meistenteils, von der theoretischen Seite, und setzte sich mit ihm auf gründliche und gewandte Art auseinander, manche originelle und inhaltreiche Gedanken dabei zutage fördernd. So verdankt man ihm gediegene Beiträge zur Dynamik elastisch gekoppelter Punktsysteme, zur Theorie der Brown’schen Bewegung und anderer Schwankungserscheinungen, zur Bestimmung des Kapillardrucks in Gasblasen, zur Akustik der Atmosphäre, zur physiologischen Farbentheorie, durch Einführung einer exakten Farbenmetrik, zur Optik der Interferenzerscheinungen, durch den Nachweis der Interferenzfähigkeit von Strahlen auch bei einem weit geöffneten Bündel, zur statistischen Mechanik, namentlich auch durch eine nähere Prüfung der von Einstein in die kinetische Gastheorie eingeführten Bose’schen Statistik. Vor nunmehr 3 Jahren lenkte sich dann seine Aufmerksamkeit auf die Idee von Louis de Broglie, daß ein mit bestimmter Geschwindigkeit bewegtes Elektron in mancher Beziehung sich ähnlich verhält wie eine Welle von bestimmter Periode und Fortpflanzungsgeschwindigkeit; und er verstand es, dieser Idee eine sehr allgemeine quantitativ formulierte Fassung zu geben durch die Aufstellung der nach ihm benannten Differentialgleichung, durch welche die bis dahin etwas mysteriöse Wellenmechanik mit einem Schlage auf eine feste Grundlage gestellt wurde. Bald darauf gelang ihm der wichtige Nachweis, daß seine Differentialgleichung in mathematischer Hinsicht equivalent ist dem Inhalt der Relationen, mit denen Heisenberg, Born und Jordan die neue Quantenmechanik begründet haben. Wenn somit vom mathematischen Standpunkt aus die sog. Schroedinger’sche Gleichung nicht unmittelbar zu neuen funktionellen Beziehungen geführt hat, so liefert sie doch einesteils neue wertvolle mathematische Methoden zur Berechnung der Quantenwerte, andererseits aber eröffnet sie neue physikalische Ausblicke, die schon jetzt für die weitere Entwicklung der Quantentheorie von entscheidender Bedeutung geworden sind, und an deren weiterer Verfolgung gegenwärtig von vielen Seiten gearbeitet wird.
Es ist kein Zweifel, daß Schroedinger, wenn er gesund und arbeitsfähig bleibt, auf dem von ihm eingeschlagenen Wege und wohl auch auf manchen anderen Gebieten seiner Wissenschat noch zu manchen erfreulichen Fortschritten verhelfen wird. Die Unterzeichneten halten daher seine Wahl in die Akademie für gerechtfertigt und geboten.

Planck
Laue
Nernst
E. Warburg
Paschen
Quelle
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-III-42, Bl. 48-49
behändigte Reinschrift von fremder Hand, egh. unterzeichnet von M. Planck, mitunterzeichnet von M. von Laue, W. Nernst, E. Warburg und F. Paschen