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Wahlvorschlag von Max Planck für Albert Einstein zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften | zum Inhaltsverzeichnis
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II-III-36, Bl. 36-37 | ← blättern → | PDFWord |
Berlin, 12. Juni 1913
Die unterzeichneten Mitglieder der Akademie beehren sich, die Erwählung des ordentlichen Professors der theoretischen Physik an der eidgenössischen technischen Hochschule in Zürich, Dr. Albert Einstein, zum ordentlichen Mitglied der Akademie, mit einem besonderen persönlichen Gehalt von 12000 M., zu beantragen.
A. Einstein, geboren im März 1879 im Ulm, erzogen in München, seit 1901 Bürger von Zürich, war schon lange vor seiner Promotion literarisch tätig, zuerst in Zürich, dann in Bern, wo er von 1902-1909 als technischer Experte am eidgenössichen Patentamt angestellt war. Erst im Jahre 1905 promovirte er an der Universität Zürich, habilitirte sich 1908 in Bern, und folgte 1909 einem Ruf als außerordentlicher Professor der theoretischen Physik an die Universität Zürich, im folgenden Jahre einem solchen als Ordinarius an die deutsche Universität Prag, von wo er 1912 von Zürich für das eidgenössische Polytechnikum zurückgewonnen wurde. Durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Physik, die zu allermeist in den Annalen der Physik publicirt sind, hat sich Einstein in den Kreisen seiner Fachwissenschaft schon mit jugendlichen Jahren einen Weltruf erworben. Am weitesten ist sein Name bekannt geworden durch das von ihm in seiner berühmten Abhandlung über die Elektrodynamik bewegter Körper (1905) aufgestellte Prinzip der Relativität, nach welchem der Widerspruch zwischen der sonst ausgezeichnet bewährten Lorentzschen Theorie des ruhenden Lichtäthers und der experimetell nachgewiesenen Unabhängigkeit der elektrodynamisch-optischen Vorgänge an irdischen Körpern von der Bewegung der Erde seine radikale Erklärung findet durch den Umstand, daß ein mit der Erde bewegter Beobachter sich einer anderen Zeitmessung bedient als ein im heliocentrischen System ruhender Beobachter. Die umwälzenden Folgerungen dieser neuen Auffassung des Zeitbegriffs, die sich auf die gesammte Physik, vor Allem auch auf die Mechanik, und darüber hinaus bis tief in die Erkenntnistheorie erstrecken, haben später durch den Mathematiker Minkowski eine Formulirung gefunden, welche dem ganzen System der Physik ein neues einheitliches Gepräge gibt, indem darin die Zeitdimension als völlig gleichberechtigt mit den 3 Raumdimensionen auftritt. So fundamental sich dieser Gedanke Einsteins für die Entwicklung der physikalischen Prinzipien erwiesen hat, so liegen doch die Anwendungen desselben einstweilen noch hart an der Grenze des Meßbaren. Weit bedeutungsvoller für die praktische Physik hat sich sein Eingreifen in andere zur Zeit im Vordergrunde des Interesses stehende Fragen erwiesen. So war er vor Allem der Erste, der die Bedeutung der Quantenhypothese auch für die Energie der Atom- und Molekularbewegungen nachgewiesen hat, indem er aus dieser Hypothese eine Formel für die spezifische Wärme fester Körper ableitete, die sich später zwar im Einzelnen nicht vollkommen bestätigt hat, aber doch die Grundlagen für die weitere Entwicklung der neueren kinetischen Atomistik schon richtig angibt. Auch mit dem lichtelektrischen und mit dem photochemischen Effekt hat er die Quantenhypothese durch Aufstellung neuer interessanter, durch Messungen controllirbarer Beziehungen in Zusammenhang gebracht, und hat als einer der ersten auf die enge Verwandtschaft zwischen den Constanten der Elasticität und denen der optischen Eigenschwingungen der Kristalle hingewiesen. Zusammenfassend kann man sagen, daß es unter den großen Problemen, an denen die moderne Physik so reich ist, kaum eines gibt, zu dem nicht Einstein in bemerkenswerter Weise Stellung genommen hätte. Daß er in seinen Spekulationen gelegentlich auch einmal über das Ziel hinausgeschossen haben mag, wie z. B. in seiner Hypothese der Lichtquanten, wird man ihm nicht allzuschwer anrechnen dürfen; denn ohne einmal ein Risiko zu wagen, läßt sich auch in der exaktesten Naturwissenschaft keine wirkliche Neuerung einführen. Gegenwärtig arbeitet er intensiv an einer neuen Gravitationstheorie; mit welchem Erfolg, kann auch erst die Zukunft lehren. Der eigenen reichen Produktivität gegenüber steht die besondere Begabung Einsteins, fremden neu auftauchenden Ansichten und Behauptungen schnell auf den Grund zu gehen und ihr Verhältnis zu einander u. zur Erfahrung mit überraschender Sicherheit zu beurteilen. Aber nicht nur in der Aufstellung und Kritik neuer Hypothesen, auch in der Behandlung und Vertiefung der klassischen Theorie konnte Einstein von Beginn seiner literarischen Tätigkeit an als Meister gelten. Sein bevorzugtes Arbeitsfeld ist hier die kinetische Theorie der Materie und ihre Beziehungen zu den Hauptsätzen der Wärmelehre. Die Gibbssche etwas abstrakte Behandlungsweise der statistischen Mechanik hat er durch eine physikalisch anschaulichere Darstellung ergänzt, und hat aus den Boltzmannschen Sätzen über die Schwankungen der Zustandvariabeln eines im thermodynamischen Gleichgewicht befindlichen Systems eine Anzahl Folgerungen gezogen, welche die experimentelle Forschung nach verschiedenen Richtungen befruchtet haben, so in erster Linie die schönen Perrinschen Untersuchungen der Brownschen Molekularbewegung (Translation und Rotation der suspendirten Teilchen), deren Bedeutung für die kinetische Theorie der Materie gerade durch die Mitwirkung Einsteins noch erheblich verstärkt worden ist. Die Unterzeichneten sind sich wohl bewußt, daß ihr Antrag, einen in noch so jugendlichem Alter stehenden Gelehrten als ordentliches Mitglied in die Akademie aufzunehmen, ein ungewöhnlicher ist, sie meinen aber, daß er sich nicht nur durch die ungewöhnlichen Verhältnisse hinreichend begründen läßt, sondern daß es das Interesse der Akademie direkt fordert, die sich darbietende Gelegenheit zur Erwerbung einer so außerordentlichen Kraft nach Möglichkeit zu nutzen. Wenn sie auch naturgemäß für die Zukunft keine Bürgschaft zu übernehmen vermögen, so treten sie doch mit voller Ueberzeugung dafür ein, daß die heute schon vorliegenden wissenschaftlichen Leistungen des Vorgeschlagenen, von denen in der gegebenen Zusammenstellung nur die markantesten hervorgehoben sind, seine Berufung in das vornehmste wissenschaftliche Institut des Staates vollauf rechtfertigen, und sie sind weiter auch davon überzeugt, daß der Eintritt Einsteins in die Berliner Akademie der Wissenschaften von der gesammten physikalischen Welt im Sinne eines besonders wertvollen Gewinns für die Akademie beurteilt werden würde.
Planck
Nernst Rubens E. Warburg | ||
Quelle Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-III-36, Bl. 36-37 behändigte Reinschrift, egh., mitunterzeichnet von W. Nernst, H. Rubens und E. Warburg |