Wahlvorschlag von Max Planck für Woldemar Voigt zum korrespondierenden Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften

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Berlin, 11. Januar 1900

Die unterzeichneten Mitglieder der Akademie beehren sich anläßlich des bevorstehenden Jubiläums der Akademie Herrn Dr. W. Voigt, Professor an der Universität Göttingen, zum correspondirenden Mitglied im Fache der Physik vorzuschlagen.
Woldemar Voigt ward geboren am 2. September 1850 in Leipzig, studirte vom Jahre 1867 ab erst in Leipzig, später in Königsberg bei Franz Neumann, promovirte daselbst im Jahre 1874 u. nahm hierauf eine Stelle als Hülfslehrer am Nicolai-Gymnasium in Leipzig an. Doch wurde er schon im folgenden Jahre als Extraordinarius an die Universität Königsberg berufen, u. später, im Jahre 1883, zum Ordinarius der theoretischen Physik in Göttingen ernannt, welche Stellung er seitdem erfolgreich vertritt.
Den Ausgangspunkt u. Hauptgegenstand der Arbeiten Voigts bildet die Krystallphysik, u. zwar nach ihrer mechanischen, optischen, elektrischen, magnetischen u. thermischen Seite. In seinen zahlreichen hierauf bezüglichen Schriften kommt er immer wieder zurück auf das Problem der Erforschung der Krystallmoleküle, die er als die eigentlichen Bausteine der Materie betrachtet. Seine erste Leistung war die Bestimmung der Elasticitätsconstanten einer Reihe von Krystallen durch Biegungs- u. Torsionsversuche, zuerst des Steinsaltzes, welches als regulärer Krystall dadurch merkwürdig ist, daß es sich in optischer Hinsicht isotrop, in elastischer aber anisotrop verhält.
Von der Elasticität wurde er zur Optik geführt, u. arbeitete, den Bahnen Neumanns u. Kirchhoffs folgend, als deren hervorragendster Schüler er zu betrachten ist, eine umfangreiche Theorie der optischen Dispersion auf mechanischer Grundlage aus, die allerdings, trotz der ihr von dem Autor vorsichtshalber gegebenen sehr großen Allgemeinheit, schließlich doch der im Gegensatz dazu von Ketteler aufgestellten, bez. der damit in ihren Folgerungen übereinstimmenden elektromagnetischen Theorie weichen mußte. Das Bestreben aus seiner ursprünglichen, nun wohl auch von ihm selber aufgegebenen Theorie möglichst viel mit in die neue elektromagnetische Anschauung mit hinüberzunehmen, mag ihn veranlaßt haben, von da ab eine mehr mathematisch-formale als physikalisch-anschauliche Betrachtungsweise in seine Untersuchungen einzuführen. Jedenfalls macht sich in seinen neueren, zum Theil sehr werthvollen Arbeiten über die magneto-optischen Erscheinungen eine merkliche Zurückhaltung in der physikalischen Deutung seiner Ausgangshypothesen und eine starke Betonung der rein phänomenologischen Seite der untersuchten Vorgänge geltend.
Neben den angedeuteten Hauptarbeiten gehen noch eine große Anzahl einzelner Untersuchungen einher, so über den elastischen Stoß, über die sogenannten Nobili-Guébhardschen Ringe, über Flüssigkeitsstrahlen, über kinetische Gastheorie u. Thermodynamik, über das Dopplersche Princip, u.s.w. Endlich entstammt seiner Feder auch ein kleines Lehrbuch der Krystallphysik, ein Lehrbuch der Mechanik u. ein Compendium der gesammten theoretischen Physik.
Nach der Zahl u. dem Erfolge seiner Arbeiten würde Hrn. Voigt als correspondirendem Mitglied unserer Akademie kaum Einer unter den theoretischen Physikern Deutschlands den Platz streitig machen können.

M. Planck
Kohlrausch
E. Warburg
v. Bezold
C. Klein
Quelle
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-III-130, Bl. 145-146
behändigte Reinschrift, egh., mitunterzeichnet von F. Kohlrausch, E. Warburg, W. v. Bezold und C. Klein