Wahlvorschlag von Max Planck für Hendrik Antoon Lorentz zum korrespondierenden Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1905

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Berlin, ohne Datum

Die Unterzeichneten beehren sich, Herrn Dr. H. A. Lorentz, Professor an der Universität Leiden, zum correspondirenden Mitglied der Akademie im Fache der Physik vorzuschlagen.
Hendrik Antoon Lorentz, geb. am 18. Juli 1853 in Arnheim (Holland), ward im Jahre 1872 Lehrer an der Bürgerschule seiner Vaterstadt, promovirte 1875 zum Dr. phil., und wirkt seit 1878 ohne Unterbrechung als Professor der mathematischen Physik an der Universität Leiden. Lorentz zählt gegenwärtig zu den hervorragendsten Vertretern der theoretischen Physik. Seine zahlreichen Arbeiten umfassen das ganze Lehrgebäude dieser Wissenschaft, in dem es kaum eine principielle Frage gibt, zu der er nicht in bemerkenswerther Weise Stellung genommen hätte, von den elementaren Grundgesetzen der Mechanik, insbesondere dem uralten Gravitationsproblem an gerechnet bis zu den räthselhaften Strahlungsphänomenen der neuesten Zeit, deren Theorie sich noch in den Anfangsstadien befindet.
Von Lorentz’ Arbeiten auf dem Gebiete der Mechanik sei hier nur eine hydrodynamische erwähnt: über den Widerstand eines Flüssigkeitsstromes in einer cylindrischen Röhre (1898), in welcher die bei größeren Strömungsgeschwindigkeiten eintretenden Abweichungen von dem einfachen Poiseuilleschen Gesetz auf unregelmäßige Wirbelbewegungen zurückgeführt werden. In der Thermodynamik wendet sich das Interesse von Lorentz hauptsächlich der Frage zu, inwieweit sich eine Begründung des zweiten Hauptsatzes u. seiner Folgerungen aus den Vorstellungen der kinetischen Gastheorie ableiten läßt. Hier berühren sich seine Forschungen mit denen Boltzmanns, die er in wesentlichen Punkten ergänzt hat. Dahin gehören besonders ein Aufsatz über das Gleichgewicht der lebendigen Kraft unter Gasmolekülen (1889) und ein anderer zur Molekulartheorie verdünnter Lösungen (1891).
Die größten Verdienste jedoch hat sich Lorentz auf dem Gebiete der Elektrodynamik erworben, u. zwar durch die Ausbildung u. Weiterführung der Maxwellschen Theorie. Schon seine Doktordissertation: über die Theorie der Reflexion und Brechung des Lichtes (1875) ist diesem Thema gewidmet u. gibt in dieser Hinsicht gewissermaßen ein Programm seiner Hauptlebensarbeit. Er hat die Maxwellsche Theorie vereinfacht durch die Einführung und Durchführung der Hypothese, daß die Elektricität, ebenso wie die Materie, atomistisch constituirt ist. Denn hiedurch wurden die bis dahin angenommenen verschiedenen Arten der elektrischen Strömung (Leitungsströme in Leitern und Verschiebungsströme in Dielektrika) durch eine einzige Strömungsart: den Convektionsstrom der Elektronen, ersetzt. Er hat ferner die Maxwellsche Theorie erweitert durch die Annahme eines ruhenden, Alles durchdringenden Aethers, wodurch sowohl das Phänomen der Aberration des Lichtes, als auch der Fizeausche Versuch mit dem Durchgang des Lichtes durch strömendes Wasser eine einfache Erklärung fand, - Erscheinungen, für welche in der ursprünglichen Maxwellschen Theorie kein Platz war.
Eine große Reihe der scharfsinnigsten, mit musterhafter Sorgfalt und Selbstkritik durchgeführten Untersuchungen bezeichnet den allmählichen Entwicklungsgang der Lorentzschen Elektrodynamik, die mit ihren Consequenzen weit in die Nachbargebiete der Optik und der Wärmestrahlung hineinreicht, und die wie kaum eine zweite Theorie anregend und befruchtend auf die diesen Studien näher zugewandten Physiker und Mathematiker der Gegenwart eingewirkt hat. Die Schwierigkeiten, welche der vollständigen Durchführung seiner Theorie dadurch noch entgegenstehen, daß der von ihr geforderte Einfluß der Erdbewegung auf die irdischen optischen Vorgänge trotz der vielseitigsten Bemühungen in keinem einzigen Falle hat nachgewiesen werden können, haben Lorentz und mit ihm viele andere Fachgenossen bis heute beschäftigt und harren noch der definitiven Lösung. Eine meisterhafte Zusammenstellung aller mit diesen Fragen zusammenhängenden Arbeiten hat er selber vor Kurzem in der „Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften“ geliefert.
Als Experimentator ist Lorentz nicht an die Oeffentlichkeit getreten, wohl aber hat er durch seine Untersuchungen über die Bewegungen der Ionen in einem Magnetfelde den Anstoß zur Aufsuchung des von Zeeman entdeckten magnetooptischen Phänomens (1897) gegeben, wofür er von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften durch Verleihung des Nobel-Preises ausgezeichnet wurde.
Auch unsere Akademie hat Lorentz schon einmal dadurch geehrt, daß sie nach dem Tode von Gabriel Stokes vor zwei Jahren seinen Namen auf die Liste der für den Orden pour le mérite Vorgeschlagenen setzte. Da er damals dem älteren Lord Rayleigh nachstehen mußte, so wäre es um so mehr erwünscht, daß die ihm von Seiten der Akademie entgegengebrachte Werthschätzung diesmal auch einen öffentlich sichtbaren Ausdruck findet.

Planck   Kohlrausch   Warburg   Engelmann
Frobenius   J. H. van’t Hoff   C. Klein
Quelle
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-III-131, Bl. 108-109
behändigte Reinschrift, egh., mitunterzeichnet von F. Kohlrausch, E. Warburg, T. W. Engelmann, G. Frobenius, J. H. van’t Hoff und C. Klein